in ungeduldiger Herr mit Hosenträgern und Schiebermütze erwartete auf einem Stuhl sitzend die eintreffenden Zuschauer des Szenenabends rund um das Drama, das Auseinandersetzungen über, im und mit Theater versprach – und fulminant einlöste.
Unter der Leitung von Katy Moser und Jacqueline Bleistein bot die Theater-AG des Lise-Meitner-Gymnasiums am 23. Und 24. Juni 2022 Einblicke in das Theater hinter dem Theater, in die Dramen, die dem eigentlichen Schauspiel vor- oder nachgelagert sind. Eine Art Mauerschau ermöglichte den Zuschauenden ungewohnte Einblicke in Prozesse und Arbeitsabläufe des imposanten Theaterkorpus.
Wie ein Querschnitt durch einen Bienenstock beleuchteten neun Sequenzen die verschiedenen Vorgänge auf und neben der Bühne der Welt, offenbarten sonst gründlich Verborgenes und rückten die Widrigkeiten des Theaterlebens ins Licht.
Falls Sie sich gefragt haben sollten, was im Theater eigentlich los ist, wenn sich das verehrte Publikum noch oder gar wieder im trauten Heim befindet, dann kann dieser Szenenabend Aufschluss darüber geben.
Der Herr mit den Hosenträgern entpuppte sich als Regisseur (Jan Hettich, KS2), der in den letzten Proben eines britischen Kriminalstücks so einige Mühe hat, seinen Schauspielern basale Grundverständnisse des Stoffes klarzumachen. Brenner (Freddy Kurras, KS1) und Karin (Karin Zeitz, 8c), die die Charaktere des Inspektors und der Lady Thitherthorough der Kriminalgeschichte darstellten, finden sich wenige Tage vor der Premiere in etlichen Fragen wider, die, zur schieren Verzweiflung des Regisseurs, ihre Auslegung der eingeübten Szene trüben. Ein Hin und Her beginnt, das monatelange Auseinandersetzungen mit einem einzuübenden Stück in einer Probe zu überwinden versucht. Man muss sich angesichts dieses Wirrsals schon fragen, wie es am Theater zugeht. Die nachfolgenden Stücke sollten Aufschluss darüber geben.
Eine wahrgewordene Horrorvorstellung für jeden Schauspieler, die man am Theater mit dem prominenten Wunsch „Hals- und Beinbruch“ stets zu verhindern versucht, führte uns in die nächste Szene. Vier Requisiteure (Marit Zeitz, 8c; Hanna Laures, 7a; Yannick Meier, KS2 und Jessica Hettich, 10c) machen es sich zur Aufgabe, das Publikum, dem niemand gesagt zu haben scheint, dass die Hamlet-Inszenierung eben durch einen Beinbruch ausfällt, auf ihre eigentümliche Weise zu unterhalten. Sie lassen es sich nicht nehmen, der Zuhörerschaft zu demonstrieren, welch großartige Arbeit sie, die Requisiteure, im Schatten der Schauspieler leisten – und das stets ohne Huldigung in Form von Applaus.
Nun ist die Situation wie sie ist: Das Publikum ist angereist, sitzt hübsch im Saal, die Vorstellung fällt aus. Aber wer kennt das Theater besser als die Menschen, die im Hintergrund arbeiten? Da gebietet es sich doch, etwas von der jahrelangen Schauspielhauserfahrung zu offerieren. Gesagt, getan. Ein zugänglicher und – so scheint es – durch jahrelange passive Übung geschliffener Abriss von Goethes Faust I dringt in Versen an die Ohren des Publikums und begeistert.
Diese spontane Vorstellung sollte die Menschen im Saal auf die folgenden Faust-Proben vorbereiten. In fünf Stücken offenbarten sich nun an ein und derselben Sequenz, Gretchens Kästchenszene, die Eigenheiten und Marotten von Regisseuren, Dramaturginnen, Schauspielerinnen und Schauspielern.
Den Einfluss jugendlichen Eifers junger Schauspieler zeigte die folgende Szene. Die überaus engagierte Nachwuchsschauspielerin Anne Kowalski (Johanna Müller, 10b) erprobt ihr gesamtes theatralisches Repertoire und schießt dabei an der ein oder anderen Stelle gehörig über das Ziel hinaus, während der Regisseur (Mila Demsar, KS2) damit beschäftigt ist, den überquellenden Enthusiasmus der jungen Dame in Schach zu halten.
Und auch die nachfolgende Probenszene offenbart die Tücken der Schauspielkunst. Ein brüllender Regisseur (Linda Unger, KS2) sucht vergeblich nach Schmerz und Abgründen in einer sich auf dem Boden wälzenden Schauspielerin (Luise Fischer, 10a), die gar nicht mehr weiß, wo oben und unten ist. Die nächste Szene kehrt den Schauspielunterricht dann einfach um. Hier ist es die Schauspielerin (Antonia Kozel, KS2), die in großartiger Divenmanier ihre Launen am armen, willenlosen Regisseur (Vincent Boger, KS2) auszulassen sucht. Dieser lässt es mit sich machen und duckt sich unter der Dame mit den Starallüren weg. Ganz anders agiert der Streicher, der die Auslegung des Originalstoffs etwas freizügiger gestaltet. Der eindrücklich gespielte neurotisch-verzettelte Regisseur (Jan Hettich, KS2 als Ersatz für Nadja Veit, KS1) macht, zum Leidweisen der probenden Schauspielerin (Anna Röber, 9c), den Ausspruch „Wir haben ja Zeit“ zum beschwichtigenden Mantra und vertritt dabei einen eher minimalistischen Standpunkt in Sachen Dramaturgie. Und auch die Dramaturgin (Leni Tscherter, KS1) zeigt in der nächsten Probenszene einen eigentümlichen Zugang zur Kästchenszene. Auch hier scheinen Schauspielerin (Mara Feil, 10a) und Dramaturgin auf komplett unterschiedlichen Ebenen zu operieren. Während der Anspruch der Schauspielerin vor allem von einer leicht verdienten Gage angetrieben wird, sucht die Dramaturgin mit wilden Anweisungen das genuin Künstlerische aus ihrem Schützling herauszustreichen und in die Figur hineinzulegen: „Denk mal gar nicht männlich oder weiblich, denk mal ganz geschlechtsneutral“. Soso.
Am Ende dient das Theater unter anderem der Unterhaltung und dieses Versprechen hat dieser Szenenabend in jedem Fall grandios eingelöst.
Mit den letzten beiden Szenen war die Rahmung des Abends perfekt. Die Bühnenarbeiter (Neema Kröner, 7a; Linda Unger, KS2 als Ersatz für Isabel Weiss, 10a und Tabea Meusel, KS2) nehmen das Publikum mit in ihre Welt. Sie berichten vom Leben hinter den Kulissen, von genauen Zeitabläufen und getaktetem Bühnenumbau – vom Theater als Handwerkskunst. Sie halten dem Theaterpublikum den Spiegel vor, der ihnen ihr blindes Verlangen nach den großen Namen und Klassikern zeigen soll. Hauptsache die Zuschauenden sehen ihrer Sehnsucht nach „Kitsch und Kolportage mit einem kleinen Schuss Tiefgang“ genüge getan. So illustriert auch die letzte Szene des Abends die stumpfe Bewunderung der Laien für die großen Schauspielerinnen und Schauspieler der Weltbühnen, als die euphorische Maskenbildnerin (Elif Haita, KS2) die wortkarge Schauspielerin (Yoana Dimova, 7a) nach einer gelungenen Aufführung hinter der Bühne abschminkt oder – ja, man könnte fast sagen – demaskiert. Welch Erwartungen und Geschichten wir doch in die Darstellerinnen und Darsteller hineinlegen, welch Profundität wir in ihnen sehen wollen!
Das Ensemble überzeugte mit perfekt in Szene gesetzten Pointen, spitzen Dialogen und eindrücklicher Körpersprache.
Das minimalistische Bühnenbild stand hier in Kontrast zur oftmals höchst dramatischen Ausstaffierung von Figuren und Bühne in den hier mitunter parodierten großen Theatersälen der Welt, die sich nicht selten durch Allüren und Extravaganz auszeichnen.
Und auch die Doppelrolle, die dem Publikum zuteilwurde – mal eine klassische Projektionsfläche des Schauspiels, mal Teil dessen – war maßgebend für die individuellen Auseinandersetzungen der Zuschauerinnen und Zuschauer, die Theater stets anzustoßen versucht.
Im ungeduldig wartenden Regisseur der Eingangsszene wird wohl die ein oder andere Person ihre innere Haltung beim Betreten des Theatersaals wiedergefunden haben. Nach zwei Jahren ohne Aufführung war die Vorfreude groß, und mit ihr die Spannung. Erschwerte Probenbedingungen, spontane Ausfälle und großartige Last-Minute-Einsätze ermöglichten diesen lange überfälligen Abend, der Schule wieder als Ort der Gemeinschaft auch abseits des Lernens ins Rampenlicht rückte.
Vielen Dank also an die Theater-AG für diesen kurzweiligen, unterhaltsamen, wohltuenden Theaterabend!
Und wenn uns dieses Stück eines gelehrt hat: Unser herzlicher Dank gilt nicht minder allen Personen, die in der ein oder anderen Form unterstützend tätig waren. Ohne euch wäre Theater nicht denkbar!
Wie lauteten die letzten Worte des Abends so schön? „Toll. Theater ist einfach toll!
Bericht: Melina Hansen
Bilder: H. Moser, J. Bleistein